Die Inschrift über dem Eingang der Alten Oper Frankfurt lautet: »Dem Wahren Schönen Guten«. Der Ursprung dieser Trias liegt in der griechischen Antike, natürlich bei Platon, wem sonst, und war beim Bau des Kulturpalastes in den 1870er Jahren eine Spitze der selbstbewussten Reichsstadt gegen die preußische Fremdherrschaft. Der Philosoph Friedrich Nietzsche polemisierte wenige Jahre nach Ende der Bauarbeiten:
»An einem Philosophen ist es eine Nichtswürdigkeit zu sagen das Gute und das Schöne sind eins; fügt er gar noch hinzu auch das Wahre, so soll man ihn prügeln. Die Wahrheit ist häßlich. Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehn.«
Nietzsche, Wille zur Macht
War Nietzsche ein Visionär? Dachte er bei der häßlichen Wahrheit etwa an die Funktionskleidung und die Rucksäcke, die heute unsere Spazierwege kreuzen, obwohl die große Mehrheit ihrer Träger weder zur Besteigung des Rum Doodle noch des Mont Ventoux aufgebrochen sind? Oder an die zu großen dunkelblauen Anzüge, getragen in Kombination mit braunen Schuhen, ohne Krawatte? (NB: Braunes Schuhwerk zu perfekt sitzenden dunkelblauen italienischen Anzügen zu tragen, bleibt Privileg des Mailänder Herrn.) Oder die hippen Jungväter mit kurzen Hosen (Mitglied der örtlichen Pfadfindergruppe oder Monty Python’s Flying Circus?), in Kombination mit Birkenstocksandalen? Oder noch Schlimmer: grauen Schuhen?
Ich will mir keine weiteren dieser Katastrophen mehr vorstellen und an dieser Stelle Ingeborg Bachmann widersprechen: Liebe Frau Bachmann, die Wahrheit ist eine Zumutung und dem Herrn deshalb nicht immer zumutbar! Zum Glück bleiben uns die Künste: »Dem Schönen Schönen Schönen«.
Abbildung: Alte Oper Frankfurt von Südosten, um 1900