Kategorien
Geschichte denkt uns vor

Die Geburt des modernen Fürsten

Ein Fürst lässt sich nur beraten, wenn er will

Der falsche Ratgeber ist schlimmer als ein Feind. Deshalb beschloß Ludwig XIV. nach dem Tod seines Erziehers Mazarin im Jahre 1661 nur noch alleine, absolut, zu regieren. Mme de Lafayette (1634-1693) schrieb, ihr sei unbegreiflich, wie ein Mensch sich so unähnlich werden könne. Sie markierte damit die »politische Geburt« des modernen Herrschers (Joël Cornette), der sich nicht mehr nur auf eine »authentische« Rolle festlegen ließ, nämlich die des Fürsten, sondern mehrere Rollen spielte. Die Lehrer Ludwigs hatten dem Dauphin nicht nur Reiten beigebracht, sondern auch Musizieren und Tanzen. Außerdem las Mazarin dem jungen Thronfolger Passagen aus dem »Principe« des florentiner Historikers Machiavelli vor. So fand der junge König von Frankreich früh eine Antwort auf die Frage: »Warum mache ich etwas?« Sich in jeder Situation klar zu machen, welche Rolle man gerade annahm, ist das eine, was Mazarin seinem Schüler beibrachte. Das Andere, noch wichtigere war, als Regierender jederzeit seinem Gegenüber klar zu machen, welche Rolle man gerade angenommen hatte. So unterschrieb Ludwig zum Beispiel in der Rolle des absoluten Herrschers alle Schriftstücke selbst, in der Rolle des Herrn war es für ihn selbstverständlich, dass er aufstand, wenn eine Frau den Raum betrat – unabhängig davon, welchem Stand sie angehörte.

Ludwig XIV., der heute oft negativ beurteilt wird, weil ein Höfling wie der Herzog Saint-Simon, dem eine Karriere am Versailler Hof versagt blieb, sich mit seinen »Memoires« am König rächte, erfand zwar nicht den modernen Herrscher (das war Machiavelli). Aber der französische König war der erste Fürst, der anhand des Rollenmodells modern regierte. Dabei duldete der Roi-Soleil keinen zweiten Mann im Staat, keinen ersten Ratgeber, der faktisch die Regierungsgeschäfte führte, während das Oberhaupt im Idealfall lediglich Mitentscheider oder Erteiler von Vollmachten war. Kluge Ratschläge, von wem sie auch kommen mögen, erwachsen notwendig aus der Klugheit des Fürsten, und nicht die Klugheit des Fürsten aus klugen Ratschlägen.

Abbildung:

Ausschnitt aus »Le Roi gouverne par lui-même« von Charles Le Brun, Schloß Versailles (MV 8975)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .