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Allgemein Literarische Bildung

Narren sind überall und Schein ist alles

Pflichtlektüre I: »Lob der Torheit« von Erasmus

Jetzt, Ende Februar, beginnt die vorlesungsfreie Zeit, und ich denke nach, wie ich die Einsichten und Erkenntnisse, die ich im vergangenen Semester gewonnen habe, festhalten kann. Ziehe ich die Evaluation meiner Lehre zu Rate, dann fällt auf: Die Kommilitonen lesen gerne für sie (und ihr Leben) relevante und schöne Texte.
Seit vielen Semestern weise ich meine Studierenden auf wichtige Bücher hin, die zeitlos und »merkwürdig« (im Wortsinne des 18. Jahrhunderts) sind. Das gefällt den Hörern, und deshalb entschloß ich, meinen Kanon der wichtigen Bücher für den Gebildeten auch mit den Leserinnen und Lesern meines Blogs zu teilen. Die Sammlung werde ich nach und nach unter der Rubrik »Pflichtlektüre« ausbreiten.

Pflichtlektüre I: Erasmus von Rotterdam, »Lob der Torheit« (1511)

Das »Lob der Torheit« (»Moriae encomium«) ist der Schlüssel für unser modernes Menschenbild, das italienische Humanisten in der Renaissance erstmals dachten und formulierten und Erasmus von Rotterdam nördlich der Alpen verbreitete.

Erasmus’ Buch ist nicht nur ein Lob der Torheit aus dem Munde der Göttin Torheit, sondern auch ein Lob der Göttin Torheit. Das Werk gäbe, so erklärte Erasmus in der Widmung an seinen Freund Thomas Morus, eine Antwort auf die gemeinsamen Fragen nach Sinn und Aufgabe der Bildung. Der Essay sei eine ironische Spielerei und orientiere sich dabei an großen Autoren der Antike. Erasmus dachte hier vor allem an den griechischen Satiriker Lukian, dessen Werke er mit seinem Freund Morus 1506 ediert hatte.

Die Torheit stellt sich ihren Schülern als Wohltäterin der Menschen vor. Sie schilt Lehrer, Philosophen, Theologen und preist sich selbst. Vom Katheder aus wendet sie sich an ihr Publikum und lehrt, dass sie es mit dem alten Sprichwort halte, »dass jeder ein Recht hat, sich zu loben, wenn ihm kein anderer den Gefallen tut«.

Drei Punkte hebt die Göttin Torheit hervor: a) Die Menschen lassen sich nicht durch Argumente überzeugen, sondern nur durch Possen, fabelhafte Geschichten und Leidenschaften regieren, b) das ganze Leben bestehe aus einem Spiel der Narrheit, das die Menschen mittels Trug und Schein in seinen Bann zieht: »Was ist das menschliche Leben schon anders als ein Schauspiel, in dem die einen vor dem anderen in Masken auftreten und ihre Rolle spielen, bis der Regisseur sie von den Brettern abruft?« Und schließlich c) Niemand werde glücklich in seinem Leben ohne Geleit der Torheit. Selbsttäuschung gehöre zur menschlichen Natur. Nur Narren erlägen keinen Hoffnungen und quälten sich nicht mit Sorgen, seien ähnlich unschuldig wie das Vieh. Sie verstünden, dass nichts närrischer sei als Streit und Krieg, weil alle Beteiligten aus Krieg und Streit mehr Schaden als Nutzen zögen.

Das Leben ist ein Schauspiel, jeder von uns sollte seine Rollen kennen und so spielen, dass der Gegenüber die jeweilige Rolle auch erkennt. Kein Mensch ist authentisch. Authentisch ist nur der Esel.

Eine Antwort auf „Narren sind überall und Schein ist alles“

„Ganz Recht! Jeder hat, unabhängig von Dem, was er wirklich und an sich ist, eine Rolle zu spielen, die von außen das Schicksal ihm aufgelegt hat, indem es seinen Stand, seine Erziehung und seine Verhältnisse bestimmte. Die Nutzanwendung, die mir die nächstliegende scheint, ist, daß man im Leben, wie auf der Bühne, den Schauspieler von seiner Rolle unterscheiden soll; also den Menschen als solchen von dem was er vorstellt, von der Rolle, die Stand und Verhältnisse ihm aufgelegt haben. Wie nun oft der schlechteste Schauspieler den König, der beste den Bettler macht; – so kann es auch im Leben geschehn, und Rohheit ist es auch hier, den Schauspieler mit seiner Rolle zu verwechseln.“ (Artur Schopenhauer, Sämtl. Werke, HNIVb:13.)

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